Klassische Reitkunst?

  • Hallo!


    Ich frage mich als Westernreiter schon länger, was die Englischreiter denn zu ihrer Reitweise bewegt.
    Soweit ich weiß, hat man als Englischreiter immer Kontakt zum Maul, treibt jeden Schritt etc, ohne seine Hilfen groß auf das abzustimmen, was das Pferd anbietet.
    Ich bin sicher kein Feind dieser Reitweise. Aber ich verstehe das Konzept einfach nicht. Oder vielmehr: ich sehe kein Konzept.
    Woher soll ein klassisch gerittenes Pferd denn wissen, wenn es etwas richtig macht, wenn die Hilfe nie aufhört, obwohl es einen richtigen Ansatz zeigt. Wie soll es zum Beispiel verstehen, dass Nase nach hinten richtig ist, wenn der Reiter nicht aufhört, Impulse zu geben? Es bekommt ja nie eine "Belohnung", also nie Druck weg.


    Da es gut gerittene Englischpferde gibt, denke ich nicht, dass die Reitweise so verkehrt ist.
    Aber irgendwie seh ich keinen Sinn für das Pferd, warum es Befehle ausführen sollte. Ich stell mir das immer vor, als würde mich dauernd jemand Nerven, dies und das zu tun, aber wenn ich es dann mache, nervt er mich immer noch. Irgendwann Denk ich mir doch auch "warum sollte ich, nerven tut er ja so und so".


    Also wie gesagt, ich bin völlig offen für andere Reitweisen, aber vll kann mir ja hier jemand helfen, die Klassische Reitweise zu verstehen?


    Auffällig finde ich in diesem Zusammenhang auch, dass englisch gerittene Pferde oft mit Kopf weit oben und ohne rückenwölbung laufen und wenn man sie dann als westernreiter kurze Zeit arbeitet, sie ganz fein und nachgiebig werden, nach kurzer zeit auch den Rücken aufwölben.
    Geht mir oft so, wenn ich die Möglichkeit habe, mit einem englischpferd zu arbeiten.
    Kennt ihr das auch?


    Vielleicht kennt sich hier ja jemand mit den Beweggründen für Englischreiter aus, wäre dankbar für eure Antworten.


    Lg Anja

    "The secret to being patient is trust in the process." - Eddy Modde


    "Your grass won’t be any greener just because you throw gasoline on your neighbor’s lawn." - Mark Rashid

  • Liebe Anja,


    ich finde du musst hier erstmal die Begriffe klar unterscheiden. Klassisch reiten ist für mich nicht gleich Englisch, sondern Barock. Dann gibt es ja auch beim Westernreiten ganz unterschiedliche Richtung, z.B. Altkalifornische Reitweise.


    Also, jedem, der nicht so wie du Western reitet zu unterstellen er würde so reiten, wie du beschrieben hast, halte ich für recht anmaßend. Ich habe schon viele "Englisch" Reiter gesehen, die genau nach dem gleichen Prinzip reiten und ausbilden wie du, also mit Druck und Druck wegnehmen, wie du es formulierst. Nur weil die Zügel dabei grundsätzlich kürzer sind, heißt das noch nicht, das es nicht gemacht wird.


    Schwarze Schafe gibt es in jeder Reitweise, ich kenne auch viele Westernreiter, die lassen ihr Pferd mit der Nase auf dem Boden laufen und Belasten dadurch zu stark die Vorhand und die Hinterhand wird nicht richtig aktiviert.


    Ich fände es aber schön, wenn du nicht weiterhin solche Pauschalaussagen triffst.

  • Ich kann die Fragestellung schon verstehen, denn auch im Westernreiten gibt es unterschiedliche Ausprägungen was Nachgeben / Anlehnung betrifft. Je nach Trainer.
    Wenn ein Westernreiter eher richtung "loserer" Zügel & Nachgeben ausgebildet wurde, ist es glaube ich schwer zu verstehen, was diese "englische" Anlehnung eigentlich bedeutet.


    Wir reiten ja - trotz Western - viel in Anlehnung und ich treibe auch Takt, wenn das Pferd ihn noch nicht von alleine halten kann, oder ich die Hinterhand aktivieren will.


    Ich hoffe, ich erkläre es aus englischer Sicht nicht ganz falsch, sonst bitte korrigeren (vielleicht reite ich auch einfach doch NUR western :D).


    Auch wenn in der Anlehnung eine leichte Verbindung zum Pferdemaul besteht, gibt man trotzdem nach. Es ist nur nicht dieses "Zügel fallen lassen" wie im Westernreiten. Die Hand "knetet" z.B. den Zügel, macht etwas mehr Druck - sobald das Pferd nachgibt und die Hilfe annimmt, öffne ich diese "Faust" leicht und gehe mit der Hand etwas vor, ohne die leichter Verbindung zu verlieren. Mit der Zeit sucht das Pferd diese Anlehnung und es gibt eine ganz weiche, nachgiebige Verbindung.


    Ich reite mit meinem Westernpferd in "Anlehnung" (wenn Englisch-Reiter das darunter verstehen, was ich als Westernreiter als Anlehnung bezeichne), wenn mein Pferd am losen Zügel (mit gelegentlichen Erinnerungen) nicht gleichmäßig, im Takt, ausbalanciert, durchlässig und rund unter mir läuft. In der Anlehnung kann ich ein Pferd, das in einer bestimmten Lektion noch nicht sicher ist, viel besser leiten und viel früher einwirken (damit für das Pferd sanfter und klarer), als am losen Zügel.



    Wie gesagt, vor 2 Jahren hätte ich die Anlehnung auch nur vom "Sehen" gekannt... und da sieht man halt auch viele, die die weiche und nachgiebige Hand vergessen.... wie es auch beim Westernreiten genug "Vorderhandschlurfer" gibt.

    • Offizieller Beitrag

    Also ich muss von mir ja behaupten, dass ich eine Mischung aus Western und englischer Reitweise reite.
    Solange mein Pony nicht durchlässig ist, brauche ich die Zügel gar nicht erst lang zu lassen. Das artet bei ihm nur in Rennerei aus, trotz seines Alters ist er immernoch sehr flott unterwegs.
    Das Nachgeben ist die Kunst. Das habe ich auch erst mit Anleitung lernen müssen. Im richtigen Moment die Zügel nachgeben und wenn Buddy richtig durchlässig ist, kann ich auch mit komplett durchhängendem Zügel reiten.
    Meine Beine sind eigentlich nur direkt am Pferd, wenn er langsamer werden soll, aber nur selten zum Vorwärtstreiben. Das liegt u.a. auch daran, dass Buddy sehr lauffreudig ist und total sensibel auf Stimm- und Gewichtshilfen reagiert. Das gelingt auch nicht mit jedem Pferd.


    Ich hatte ja das Problem, dass mir Buddy immer unterm Hintern weggerannt ist, oder auch durchgegangen ist. Das konnte ich bei ihm nicht mit langem Zügel korrigieren. Aber meine Trainierin hat mir da sehr geholfen und mir immer genau gesagt, wenn ich sofort die Zügel "wegschmeißen" muss.
    Heute ist es immernoch so, dass er ja an manchen Sachen nicht vorbeilaufen mag oder daraufzulaufen mag ;) Da er dann immer rückwärts rennt, halte ich es so, dass ich die Zügel kurz nehme und die Sporen an den Pferdebauch drücke, wenn er sich entziehen will. Geht er aber einen Schritt auf das fürchterliche Objekt zu, gehen sofort die Beine weg vom Bauch und auch die Zügel werden ganz locker. Das wiederhole ich solange, bis er das gefährliche Ding nicht mehr gefährlich findet.



    Meiner Meinung nach hat jede Reitweise was Gutes und was Schlechtes. Man sollte sich das Beste aus jeder Reitweise rausziehen, dann hat man ein gut gerittenes Pferd. Buddy und ich sind dafür ein sehr gutes Beispiel und ich kann nur sagen: Ja, das funktioniert!!!

  • Deine Fragen und Aussagen zeigen mir, dass Du Dich noch nie effektiv mit diesem Thema auseinandergesetzt hast. Neben der Tatsache, dass einiges an Begrifflichkeiten durcheinander geht und Du die Definitionen nicht verstehst, sind manche Aussagen auch schlichtweg falsch. Woher nimmst Du z.b. die Behauptung, dass der Reiter nach der klassischen Reitlehre nie nachgibt und immerzu treibt? Ich würde Dir sehr gerne die Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1, ans Herz legen. Wenn Du Dich wirklich für das Thema interessierst, stehe ich danach gerne für weitere Fragen bereit. An diesem Punkt alles auszuführen und zu erklären was Du nicht verstanden hast, würde den Rahmen sprengen.


    Für mich als Vertreterin der klassischen Reitlehre ist es übrigens genauso selbstverständlich über meinen Tellerrand zu blicken, daher habe ich z.b. auch ein Reitlehre-Buch übers Westernreiten gelesen und kenne mich z.b. auch mit dem Gangverteilungsschema bei Isländern aus. ;)


    Und wie die anderen schon schrieben: schwarze Schafe gibt es überall und bei wem sieht das Reiten schon immer aus wie im Lehrbuch?

  • Danke für die Antworten bis jetzt.


    Verstehe ich jetzt richtig, dass auch englischreiter offiziell nachgeben mit den Hilfen, wenn die gewünschte Reaktion vom Pferd kommt?
    Ich weiß, dass es viele englischreiter machen, weil sie es für sinnvoll halten. Aber gehört das offiziell dazu?
    Wie gesagt, ich kann mich täuschen (wurde als Behauptung aufgefasst, sollte es nicht sein), aber meine vorstellung vom englischreiten ist, dass man mit den Hilfen dranbleibt...


    Lg Anja

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  • Lorena, ich kann dich gut verstehen und finde es super, dass du das Thema gestellt hast.
    Ich habe früher auch in der herkömmlichen Reitweise reiten gelernt (also das, was man so in den üblichen Reitschulen lernt).
    Da wurde mir auch beigebracht immer Kontakt zum Maul zu haben, jeden Schritt rauszutreiben und pausenlos am Zügel zu arbeiten.
    Als Kind und Jugendliche hab ich das gemacht ohne zu hinterfragen.
    Nach vielen Jahren Reitpause stellen wir gerade auf Western um. Da der ganze Umgang und die Grundausbildung vom Boden meiner Meinung
    nur nach dem Prinzip Druck und Pause funktioniert, scheint es mir das logischste für das Pferd zu sein. (Für mich auch)
    Trotzdem schaue ich mir hier jedes Jahr ländliche Reitturniere in Dressur und Springen an und muß leider sagen, dass ich das weder in Dressur noch im Springen (bis Klasse M)
    Reiter sehe, die Nachgeben. Viele Reiter reiten mit enormer Kraft aus den Armen und beschweren sich nach dem Ritt, dass sie jetzt aber ganz schön dicke Oberarme haben.
    Das hab ich bei Westernturnieren noch nie erlebt. Und für einen Aussenstehenden kann das schon den Anschein haben, dass es für das Pferd keine Erfohlungspausen
    vom Zügel gibt, zumal ja in der herkömmlichen Reitweise fast ausschließlich mit Gebiss geritten wird oder werden muß.

  • Ich versteh die kleinen Anfeindungen hier nicht. Lorena hat eine Frage gestellt, die ich durchaus berechtigt finde - denn irgendwann muss man sie ja mal stellen, um sein Wissen zu erweitern.
    Nur wer weiß, was passiert, kann urteilen oder nicht? Von daher find ich es gut, wenn sich jemand hinstellt und sagt: ich möchte das versuchen zu verstehen. Das spricht eigentlich für ihre Kompetenz und nicht dagegen.


    Moröschen ihrem Beitrag möchte ich mich anschließen. Wahrscheinlich hat fast jeder so angefangen und für die einen macht es Sinn in dieser Reitweise zu bleiben, für andere eben nicht.


    Für mich macht die klassische Reitweise nach spanischen und französischen Reitmeistern Sinn, weil das Erreichen der Versammlung zwar letztendlich dasselbe Ziel anstrebt, aber der Weg dorthin ist ein anderer.
    Im Gegensatz zu englischen Reitweise lernen Pferde in der klassischen Variante beispielsweise erst das Schulterherein, statt erstmal die drei Grundgangarten - die gibt es im klassischen erst einmal gar nicht. In der englischen sind sie aber Grundvorraussetzung für alles Weitere. Bevor die Pferde dort eine Vor- oder Hinterhandwendung lernen, müssen die locker in den drei GGA laufen. Für mich macht es keinen Sinn, ein Pferd in allen Tempis durch die Bahn zu schicken, ohne, dass es sich selbst wirklich koordinieren kann - zumal es bei vielen Hilfen in einen Konflikt tritt. Damit es dennoch eine Kommunikation gibt, wird das Pferd dementsprechend mit Kraft bearbeitet. Steinigt mich jetzt nicht, ich beschreibe das, was ich erlebt habe und was immer noch überall zu hauf anzutreffen ist. Das ist einfach Fakt. Es ist gut, wenn es mittlerweile auch andere und faire Methoden in der englischen Reitweise gibt, aber ich höre diesen Spruch auch überall: Bor, mir fallen gleich die Arme ab! Wozu die Ausbinder, wenn ich es meinem Pferd auch auf andere Art erklären kann, wozu braucht man dieses Druck der Hilfsmittel?
    Solche Fragen sind ja keine Anfeindungen gebenüber einer Reitweise, sondern ein Hinterfragen des Tuns - und nur so findet Weiterentwicklung statt.


    Liebe Grüße,
    Yvonne

  • Ich mag mich jetzt auch mal äußern. Ich kann auch "nur" das Englisch Reiten. Aber irgendwie habe ich das anders gelernt als hier beschrieben *grübel*
    Ja klar man hat eine stetige Verbindung zum Maul, aber in dem Moment wo das Pferd das gewünschte Haltungsbild erreicht, wird man doch weich und vor allem ruhig in der Hand! Lenkung sollte langfristig über Gewicht und Schenkel funktionieren. Der äußere Zügel lediglich als Begrenzung anstehen. Auch das Tempo wird doch nicht aus jedem Schritt rausgetrieben sondern nur wenn das Pferd langsamer word kommt ein Impuls.
    So bekomme ich ein fein gerittenes Pferd, welches auch Spaß hat an Englisch Reiten. Es gibt ja auch einige Parelli Instruktoren die ihre Pferde englisch reiten und sich an die Parelli Prinzipien halten.
    Das was hier beschrieben wird, sind für mich diese krankhaften Bilder, die man leider recht häufig sieht. Aber Rollkur oder LDR :motz2: wie es ja bei manchen Reitern heißt hat ja eigentlich nix mit gutem Reiten zu tun. Genauso wenig dieses von vorne nach hinten reiten, heißt krampfhaft vorne zerren (dafür ist denn auch ein Besuch im Fitnessstudio vorher ratsam, sonst hält man das nicht durch! ) und hinten immer schön von hinten treten, hauen, stechen. Damit das Pferd dann auch ja nicht weiß was gemeint ist. :(
    Aber auch im Gangpferde Bereich gibt es feine Reiter und Horrorstories. Westernreiten ist auch nicht immer nett, wenn der falsche Reiter/ Ausbilder am Werke ist.


    Ich finde man kann keine Reitart verteufeln, wohl aber die Ausbildungsmethoden die dahin führen. Ich bin nunmal der Parelli Philosophie verfallen und finde es mehr als schön wenn man zb. auf der Equitana sieht, dass die großen Instruktoren alle ihre eigene Reitweise haben und da auch erfolgreich sind.


    LG


    Bianca

  • Zur Anlehnung nach FN:
    http://www.dressur-studien.de/images/pdf/paradeposter_hr.pdf


    Ich denke, besser als mit so einem simplen Bild kann man gar nicht erklären, was eigentlich gewünscht und was die missverstandene, nicht sehr pferdefreundliche Variante ist.


    Ich denke, im Dressursport ist es wie im Westernsport auch: Es gibt verschiedene Schulen und Ansichten und so sind die Pferde eben auch trotz scheinbar gleicher Reitweise ganz unterschiedlich ausgebildet.



    Die Schenkelhilfen sind in den FN Richtlinien für Reiten und Fahren 1 so beschrieben:


    Der vorwärts treibende Schenkel liegt dicht hinter dem Gurt, also so, dass der Absatz lotrecht unter der Hüfte ist. Bei weich am Pferdeleib anliegenden Unterschenkeln kommt die Einwirkung bereits dadurch zustande, dass der Rumpf des Pferdes sich im Rythmus des Bewegungsablaufes wechselweise vermehrt nach rechts oder links wölbt. Dadurch wird das Gewicht des anliegenden Unterschenkels zur Seite geschoben, wodurch ein gewisser Druck auf die Seiten des Pferdes erzeugt wird. Das Pferd holt sich also bei jedem Schritt oder Tritt eine Einwirkung des stetig anliegenden Schenkels und treibt sich dadurch gleichsam selbst, ohne dass der Reiter aktive Muskelarbeit leistet. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass das Pferd in seiner Grundausbildung das dazu erforderliche Feingefühl erworben hat.
    Durch ein stärkeres, kurzes Anspannen der Wadenmuskulatur wird das jeweilige Hinterbein vermehrt zum Abfussen veranlasst. Diese Wirkung ist besonders dann gegeben, wenn der Reiter entsprechend dem Bewegungsablauf in dem Augenblick einen Impuls gibt, in dem der gleichseitige Hinterhuf abfußt. Bei Pferden, die auf eine solche kurz dauernde Einwirkung noch nicht reagieren, muss der Reiter durch verstärkte Impulse das Pferd sensibilisieren. Auf keinen Fall darf der Schenkel dabei klemmen.


    Das jetzt nur mal zum vorwärtstreibenden Schenkel, um den sich deine Frage ja hauptsächlich drehte. Korrekt englisch gerittene Pferde funktionieren da also nicht groß anders als die meisten western gerittenen.


    Ein Auszug zu den Zügelhilfen:


    Die annehmende Zügelhilfe wird gegeben, indem je nach notwendiger Intensität die Faust für einen kurzen Moment vermehrt geschlossen oder, bei einer entsprechend stärkeren Hilfe, das Handgelenk etwas nach innen eingedreht wird. Für die annehmende Zügelhilfe gilt ganz besonders als Warnung, niemals im Annehmen stecken zu bleiben. Tritt die Reaktion des Pferdes nicht sofort ein, dann darf diese Hilfe nicht in "Ziehen am Zügel" ausarten, sondern muss im Wechsel mit nachgebenden Hilfen wiederholt angewandt werden.
    Erfolgt die nachgebende Zügelhilfe nach dem annehmendem Zügel, dann bedeutet dies ein Zurückgehen der Hände in die Grundhaltung. Es kann aber auch bedeuten, dass der Reiter, ohne anzunehmen, aus der Grundhaltung heraus die Faust leicht öffnet oder mit der Zügelfaust insgesamt etwas vorgeht. Bei der nachgebenden Zügelhilfe ist besonders darauf zu achten, dass sie nicht ruckartig gegeben wird und kein "springender Zügel" entsteht. Der Reiter muss mit der Hand also nur leicht werden und darf die elastische Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul nicht aufgeben.
    In bestimmten Situationen genügt ein Nachgeben aus dem Handgelenk nicht, sondern ein Nachgeben aus dem Ellenbogen- und Schultergelenk wird notwendig, z.B. wenn dem Pferd die Gelegenheit zum Längermachen des Halses gegeben werden soll. [...]


    Und abschließend zur "Belohnung" für das Pferd: Wie du ja liest, wird durchaus nachgegeben. Zudem bekommt mein Pferd immer eine Pause, wenn er etwas besonders gut gemacht hat. ;)

    'Reiten: das Zwischenspiel zweier Körper und zweier Seelen, das dahin
    zielt, den vollkommenen Einklang zwischen ihnen herzustellen.'

  • Dankeschön Hafi-Ana für die Zitate. Ich denke, dass man schon etwas unterscheiden muss zwischen der 'richtigen' klassischen/englischen Reitweise und dem, was in vielen (schlechten) Reitschulen vermittelt wird. Wenn dann viele, die das englische Reiten nur aus solchen Reitschulen kennen, auf der 'FN' rumhacken verweise ich gerne auf die Richtlinien für Reiten und Fahren. Dort steht eben NICHT, dass man dauerhaft (gar mit Sporen) in den Pferdebauch klopfen oder am Zügel gegenhalten soll. Auch für uns Englischreiter ist die Selbsthaltung des Pferdes das Ziel, also ganz platt gesagt, dass der Reiter nicht ständig an der Haltung des Pferdes herumverbessert. Nur ist der Weg halt ein etwas anderer. Eigentlich soll die gewünschte Kopfhaltung des Pferdes dadurch kommen, dass das Pferd durch die Aktivierung des Hinterhand an den Zügel herantritt. Eine Anlehnung kann dabei aber ja nur entstehen, wenn eine Zügelverbindung vorhanden ist. Dabei ist nicht gemeint, dass auf dem Zügel dauerhaft Zug ist, sondern eine ganz leichte Verbindung.


    Ich als Nicht-Westernreiterin habe mich im Gegenzug beim Anblick mancher Westernreiter schon gefragt, ob in der Ausbildung eines Westernpferdes nicht tlw. zu viel Augenmerk auf die tiefe Kopfhaltung des Pferdes gelegt wird. Wir hatten früher einen Westernreiter im Stall, der mir erklärt hat, dass man halt sobald das Pferd mit dem Kopf hochkommt an den Zügeln herumfuhrwerkt, es dem Pferd richtig unangenehm macht, irgendwann lässt man die Hand dann sinken und wenn das Pferd daraufhin den Kopf senkt wird es dadurch belohnt, dass man eben nicht weiter an den Zügeln zieht. Dabei stellt sich mir die Frage, was das dann mit Gymnastizierung zu tun hat. Mir schien das mehr eine Art Dressur zu sein, dass das Pferd automatisch den Kopf gesenkt hält und nicht, weil es so durchlässig ist und einen aktiven Spannungsbogen von der Hinterhand übern Rücken aufgebaut hat.


    In dem Stall, in dem ich jetzt mit meinem jungen Hafi stehe, reitet eine inzwischen sehr gute Freundin von mir Western. Bei der ist es definitiv nicht der Fall, dass sie über die Hand versucht ihr Pferd dazu zu bringen, dass er die gewünschte Kopfhaltung einnimmt (ihr Pferd ist knapp 4 Jahre alt, also noch ziemlich am Anfang seines Reitpferde-Lebens). Auch aus den Gesprächen mit ihr denke ich inzwischen, dass der andere Reiter mir nicht erzählt hat wie es 'die Westernreiter' machen, sondern eher wie es ein Teil macht, genauso wie leider einige Englischreiter ihre Pferde per Rollkur meinen ihre Pferde richtig zu gymnastizieren. Der Mann hatte übrigens Unterricht bei einem wirklich namhaften Westerntrainer/-reiter, der auch international erfolgreich ist.

  • Klar verstehe ich, dass es in Deutschland leider in vielen Reitschulen nicht so toll abläuft und mich ergreift hier auch das Grausen, wenn ich so manche Reiter sehe.


    Mir ging es aber trotzdem schon auch um die Klärung der Begrifflichkeiten klassisch vs. englisch, aber das ist ja mittlerweile geklärt :D


    Was ich interessant finde ist, dass ich in den 3 Jahren, die ich in England gelebt habe nur sehr selten jemanden habe Reiten sehen, wie Anja es beschrieben hat, in D aber schon - dabei heißt es ja englische Reitweise ?( Vielleicht sollten wir es besser Deutsche Reitweise nennen?

  • Ich reite ja in einer Englisch-Reitschule. Wir bekommen dort auch beigebracht, dass wir beim Treiben zuerst die Schenkel nehmen, wenn das Pferd dann nicht innerhalb von 3 Sekunden reagiert, kommt die Gerte und wenn dann immer noch keine Reaktion kommt, dann gibt’s auch mal feste Gerte – aber sobald das Pferd reagiert, muss sofort der Druck weg. Die Schenkel bleiben dann zwar am Pferd, und das Pferd holt sich somit eine kleine treibende Hilfe selbst ab, aber man macht nicht aktiv Druck.


    Ich glaube, dass es auch sehr auf das Pferd ankommt, in wie weit es Sinn macht, Impulse zu geben oder lieber eine feine Hilfe öfter zu geben. Ich hatte mal ein Pflegepferd, eine recht sensible Stute, bei der es mir am besten erschien, sie so lange konsequent, aber freundlich aufzufordern, bis die gewünschte Reaktion kam (z.B. so oft rückwärtsschicken bis sie stehen blieb). Druck konnte sie gar nicht abhaben. Mein Pflegehafi dagegen braucht oft einfach eine klare Ansage, damit die gewünschte Reaktion kommt und dann ein dickes Lob, sonst tanzt er einem nur auf der Nase rum. Ich denke man muss einfach schauen, mit welcher Art von Hilfengebung das jeweilige Pferd am besten zurechtkommt, egal ob am Boden oder beim Reiten und unabhängig von der Reitweise.


    lg Cyrus

    • Offizieller Beitrag

    Wir hatten bei uns am Stall eine, die mit puren Schlaufzügeln geritten ist. Und das mit Westernsattel.
    Nun hab ich mir bisher verkniffen darüber zu urteilen und zu hinterfragen, was sowas soll.
    Allerdings bin ich hier wohl genau richtig, um das mal nachzufragen. Wenn also jemand weiß, warum man SOWAS macht, bitte immer her mit den Antworten!
    (Nein, ich hab sie nicht direkt gefragt)
    Was ich sagen will, ist: ich glaube jede Reitart hat so seine Eigenheiten, die der, der die andere Reitart bevorzugt, nicht nachvollziehen kann. Beide bestehen nebenher seit hunderten von Jahren. Sie können beide nicht grundlegend Tierquälerei sein.

  • Wissen tu ichs natürlich nicht, aber ich vermute, dass solche Leute einfach der Meinung sind, das wäre die einzige Möglichkeit, dieses Pferd händeln zu können. Es wird wohl keiner zugeben, dass ihn nichts an reeller Ausbildung liegt und man es sich es doch genauso gut mit ein paar Schlaufzügeln einfacher machen kann. Stattdessen macht man sich vor, dass dieses Pferd eben so schwierig ist, dass es einfach nicht anders geht. Das ist nun mal kein Hafi, der jeden Fehler verzeiht :ironie: (hab ich so in der Art wirklich mal zu hören bekommen, aber in einem anderem Zusammenhang). Ich kenn die Person, von der du schreibst, natürlich nicht, aber das ist jetzt grad die einzige Erklärung, die mir einfällt.

  • Zur Klärung der Begriffe und ihrer Ursprünge, habe ich Euch folgenden Text rausgesucht der vor einiger Zeit aus meinem "persönlichen Frust" über die falsche Verwendung dieser entstanden ist.


    „Was reiten Sie denn?“


    „Dressur“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. „Und nach welcher Reitweise?“ fragt die neue Stallkameradin weiter. Dieses Mal bleibt ihre Gesprächspartnerin die Antwort schuldig. Klassisch, klassisch-barock, FN-Reitweise oder Englischreiten? Liegt nicht allen gemeinsam die klassische Reitlehre zugrunde? Die genaue Klärung der Begriffe ist eine echte Aufgabe.
    „Beginnen muss man mit der Definition des Wortes „klassisch“, was nicht einfach ist“, meint Richard Hinrichs, Leiter des Instituts für klassische Reiterei Hannover. „Während klassisch oft als Bezeichnung für „normal“ oder „gewöhnlich“ verwendet wird, tragen ebenfalls eine bestimmte Stilrichtung in der Kunst und eine Kultur-Epoche diesen Namen.“ Im 18. Jahrhundert, der Blütezeit des Barocks, entstand der Wunsch, das Pferd als Kunstwerk zu präsentieren und im harmonischen Einklang mit dem Reiter. Reiten wurde zur Reitkunst. Dieser Gedanke geht auf die alten Griechen zurück, die den Menschen in den Einklang mit der Natur bringen wollten.
    Man erkannte die Vorteile mit mehr Kontakt am Unterschenkel zu reiten, und die Seitengänge in der Ausbildung früh als lösende Übungen mit einzubeziehen. Auch das Arbeiten an der Hand spielte eine große Rolle. „Dabei galten Vertrauen, Gehorsam und Gleichgewicht des Pferdes als permanentes Ziel. Dazu kam ein vierter wichtiger Punkt: die verstärkte Versammlung“, erklärt Richard Hinrichs. Während der anschließenden Zeit der Militärreiterei wurde dieser Aspekt unwichtig, es ging mehr um das Vorwärts, nicht mehr um die Versammlung. Hier liegt der entscheidende Unterschied der klassischen und der klassisch-barocken Reiterei: Die heutige Turnierreiterei und die Richtlinien für Reiten und Fahren setzen nach der Zeit der Militärreiterei an, während die Vertreter der klassisch-barocken Reitweise ihr Reitsystem von der Zeit des Barocks aus weiterentwickeln.


    Die Richtlinien für Reiten und Fahren beruhen allerdings genauso wie die klassisch-barocke Reiterei auf der klassischen Reitlehre und ihr Inhalt wurde nicht eigens von der FN „erfunden“, nur in einen moderneren Rahmen versetzt. Die Bezeichnung FN-Reitweise existiert offiziell nicht, wird aber gerne von nicht-turnierreitenden Pferdeleuten anderer Reitweisen in negativem Zusammenhang mit Turnierreitern verwendet, genauso wie „Englischreiten“. Eine plausible Vermutung, wie es zu dem Begriff „englische Reitweise“ kam, liefert Johannes Beck-Broichsitter: „Die Ostküste Amerikas wurde stark von England geprägt, so auch die Reiterei. Es wurden Jagden, Dressur und Geländeprüfungen geritten und es wurde eben „englisch getrabt“, also leichtgetrabt. Die Reiterei der Westküste dagegen basierte auf spanischen Traditionen. Vermutlich entstand so der Begriff und wurde später auch in Europa eingeführt.“ Die Bezeichnung beinhaltet von daher nicht, ob jemand nach klassischen Gesichtspunkten reitet oder nicht.
    „Klassisch“ sollte eigentlich alles sein, denn unsere Reiterei heute beruht in jeder ausgeübten Form auf den alten Grundlagen“, meint Johannes Beck-Broichsitter, Leiter der Reitschule Johannenhof in Heist, in der es seit einiger Zeit eine Trainer-Ausbildung in der Fachrichtung klassisch-barock gibt. „Mit klassischer Reiterei soll beruhend auf dem Ziel, Pferd und Reiter in Harmonie zu präsentieren, in jedem Fall etwas Positives verbunden werden“, so Richard Hinrichs. „Auch ein Springreiter kann nach diesem Aspekt als klassisch bezeichnet werden, wenn er mit seinem Pferd im Gleichgewicht ist.“
    Ein starres System nützt weder Pferd noch Reiter, die klassisch-barocke Reitweise sollte genauso weiter entwickelt werden wie die Richtlinien für Reiten und Fahren der FN. „Viele Barockreiter nehmen das Leichttraben mit auf, obwohl es das im 18. Jahrhundert nicht gab. Doch heute weiß man, welche positiven Auswirkungen es hat“, gibt Richard Hinrichs ein Beispiel. Die Übergänge zwischen den Reitweisen sind oft fließend, von vielen Ausbildern und Reitern werden Elemente bewusst kombiniert.
    „Wir dürfen nicht zu streng sein, wenn wir überhaupt noch etwas als klassisch bezeichnen wollen. Denn kein Reiter schafft es in absolut jedem Moment, sein Pferd nach allen klassischen Gesichtspunkten zu reiten. Die Momente, in denen das gelingt zählen, und das Bemühen des Reiters, in die richtige Richtung zu gehen“, meint Richard Hinrichs.

  • Jetzt wurden hier mehrfach Richtlinien zitiert oder beschrieben wie es sein sollte. Wenn ich mich umgucke ist genau das aber zu 90% nicht die Realität. Weder in Reitschulen noch auf Turnieren.
    Da das was ich immer wieder sehe weder klassisch noch englisch noch barock ist hab ich das Wort herkömmliche Reiterei benutzt, die sich auch nicht auf Deutschland beschränkt. Das gleiche erbärmliche Bild sieht man auch auf internationalen Turnieren.


    Natürlich gibt es in der Westernreiterei genauso schwarze Schafe, wie es in der herkömmlichen Reiterei Lichtblicke gibt.
    Das Reiten mit Nase im Sand ist übrigens seit einigen Jahren zumindest auf Turnieren verboten. Die Ohrspitzen dürfen nicht tiefer als der Wiederrist sein.


    Wer ein paar Minuten Zeit hat, für den hab ich mal einen Link von der Zeitschrift Pferdeland. Da gibt es zu dem ganzenThema einen schönen Artikel, der es meiner Meinung nach trifft.
    Signalreiten - Reiter und Pferd in Harmonie, Seite 10
    http://www.wittich.de/fileadmin/user_upload/epaper/9600/

  • ... Wenn ich mich umgucke ist genau das aber zu 90% nicht die Realität. Weder in Reitschulen noch auf Turnieren. ...


    Das scheint im Westernlager aber auch nicht anders zu sein.


    Dazu muss ich dann wohl noch folgende Geschichte beisteuern: Eine gute Freundin konnte aufgrund eines Bandscheibenvorfalls nicht mehr "richtig" Dressur reiten und eine Western-Trainerin meinte: "Versuchs doch mal mit Western, Dein Pferd kann die Lektionen im Prinzip alle." Gesagt getan, die bis S ausgebildete Hannoveraner-Stute wurde von einem Tag auf den anderen zum Westernpferd umfunktioniert und meine Freundin war sofort so erfolgreich, dass sie um einen Punkt an der Deutschen Meisterschaft vorbei segelte. Über die anderen Turnierreiter meinte sie: "Die wenigsten Westernreiter können gut reiten und die Pferde springen die Wechsel alle nicht sauber."


    In meinen Augen zeigt das 1., dass auch nicht alle Westernreiter so reiten wie es im Lehrbuch steht, 2., dass beide Reitweisen in korrekter Weise ausgeführt vieles gemeinsam haben und die Pferde durchaus beides verstehen können und 3. dass beide Reitweisen auch Dinge voneinander lernen können, die man kombinieren kann.
    Zweitbestes Beispiel neben meiner Freundin ist für mich die hier erwähnte Western-Ausbilderin, mit einem sehr bekannten Dressurausbilder zusammen ist, sich auch von diesem unterrichten lässt und beide Reitweisen erfolgreich kombiniert.

  • Schon interessant, was hier alles in so kurzer Zeit zusammenkommt.
    Daher danke für eure Beiträge, die Zitate waren auch sehr hilfreich, vielen Dank!


    Was ich jetzt zusammengefasst herauslese:
    -nachgeben gehört theoretisch sowohl zu englisch als auch zu western.
    -bei englisch ist aber immer ein gewisser "grunddruck bzw -Zug vorhanden, der erhöht wird, wenn man eine Reaktion fordert
    -die wenigsten Reiter sowohl in Western als auch in englisch reiten nach Lehrbuch


    Denkt ihr, die Liste trifft's soweit?


    Also wie gesagt, der dritte Punkt ist mir völlig klar. Aber mir gehts wirklich um das Prinzip, darum wie es gemacht werden SOLLTE. Dass dann doch zu viel Kraft aufgewandt wird etc muss man wohl hinnehmen.


    Aber wieso brauche ich in englisch diesen "Grundzug" am Zügel und "Grunddruck"mit den Schenkeln? Ich hab schon verstanden, dass das nur ganz leicht und sanft sein sollte, aber trotzdem mehr als gar nichts. Wieso machen englischreiter also dieses kleine "Mehr" an Druck bzw Zug als die westernreiter? Zu irgendwas wird der ja nütze sein?


    Lg Anja

    "The secret to being patient is trust in the process." - Eddy Modde


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  • Hast du mal den Bericht gelesen, zu dem ich den Link eingestellt habe?
    Ich denke es hat wirklich damit zu tun, das die herkömmliche Reiterei "nur" dem Schön-Reiten dient und nur um des Reiten willens gemacht wird.
    Das Pferd soll schön und perfekt und immer unter Spannung Lektionen absolvieren.
    Die Westernreiterei, aber auch das militärische Reiten sind Gebrauchsreitereien, wo das Reiten bzw. das Pferd das Mittel zum Zweck war.
    Das heißt es war nur eine Signalreiterei möglich, weil sich der Reiter mit Waffe oder Lasso ö.ä. beschäftigen mußte.
    Also, Kommando und wenn das Pferd folgte, Hilfe weg und das Pferd muß solange damit weitermachen, bis es ein neues Kommando kriegt.
    Ständig anstehende Hilfen ging also gar nicht. Und das hat man in den Reitweisen bis heute beibehalten.